Jesuitengruft der Kirche am Hof in Wien

Das Grab von Pater Vitus Georg Tönnemann SJ in der “Kirche am Hof” in Wien

In den Beschreibungen des Lebens von Pater Vitus Georg Tönnemann ist gelegentlich zu lesen, dass er in der “Gruft des Profeßhauses in Wien”[1] bestattet wurde. Die Informationen über die Kirche und auch über die Jesuitengruft mit dem Grab Tönnemanns liegen nur spärlich vor. Eine ausführliche Monographie über den Sakralbau mit den zahlreich vorhandenen Grüften und seiner reichen Ausstattung steht bislang aus. Daher sollen nun im Rahmen dieses Beitrages die Geschichte, die architektonische Gestalt und einige Ausstattungsstücke der “Kirche am Hof” beschrieben werden.

Die “Kirche am Hof”

Im 1. Wiener Gemeindebezirk, zwischen dem Stephansdom und dem Schottenstift in der Freyung, erhebt sich am Platz “Am Hof” die “Kirche zu den neun Chören der Engel”, die im Volksmund wegen dieser Lage schlicht “Kirche am Hof” genannt wird. Nach Westen wendet sich eine breit gelagerte Barockfassade, eine Stiftung Kaiserin Eleonores, zum Platz hin. Charakteristisch für diese 1662 errichtete Fassade ist der zentrale Benediktionsaltan, die zentrale unterbaute Plattform unterhalb des Westfensters (vgl. Abb. 1).[2] Von diesem Ort aus spendeten in den Jahren 1782, 1983 und 2008 die Päpste Pius VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. ihren apostolischen Segen. Die Fassade wird von drei Portalen geöffnet, hinter denen sich eine durchgängige und zur Kirche hin abgemauerte Vorhalle unterhalb des Altans erstreckt.

Abb. 1

Der von 1386 bis etwa 1420 als Klosterkirche der Karmeliten errichtete Sakralbau selbst kann seine ursprüngliche hochgotische Architektur nicht verleugnen. Dies wird auch außen am Chorraum aufgrund der Strebepfeiler und der noch sichtbaren Spitzbogenfenster deutlich. Das lange querschifflose, kreuzrippengewölbte Langhaus öffnet sich zu einer sehr hohen und recht schmalen dreischiffigen Halle. Das knapp 20 Meter hohe und 9 Meter breite Mittelschiff ist in vier quadratische Joche (jeweils von vier Säulen gebildete rechteckige Gewölbefelder) unterteilt, die beiden 5,5 Meter breiten Seitenschiffe folgen diesem Schema mit jeweils vier Jochen, an die auf der Nord- und der Südseite je vier Kapellen angefügt sind. Unter ihnen liegen Gruftgewölbe von Wiener Adelsfamilien. Haupt- und Seitenschiffe sind mit einem Kreuzrippengewölbe auf oktogonalen Frei- und Wandpfeilern mit Kompositkapitellen überspannt, das eventuell noch von der gotischen Ursprungsarchitektur stammt. Im Osten schließt sich der für eine ehemalige Bettelordenskirche typische langgestreckte dreijochige Chorraum an, der im Vergleich zum Mittelschiff etwas breiter ist. Unterhalb des Chorraums erstreckt sich – wie ein Keller – die Jesuitengruft, in der sich auch das Grab Pater Tönnemanns befindet. Infolge der Reformation wurde die Kirche 1542 profaniert und als Magazin genutzt.[3] Das gotische Inventar ging dabei teilweise verloren.

Die Jesuiten an der “Kirche am Hof”

Kaiser Ferdinand I. übergab die Kirche 1568 dem Jesuitenorden, der schon seit 1554 vor Ort ansässig war.[4] Im Jahre 1607 verwüstete ein Brand das Kirchengebäude, das bis 1621 durch Giovanni Battista Carlone durchgreifend im italienischen Stil barockisiert wurde. Der Anbau der Seitenkapellen an Nord- und Südseitenschiff schloss 1648 den frühbarocken Umbau ab. Diese Baumaßnahme prägt die Gestalt des Langhauses, das besonders im Bereich zwischen den Wandpfeilern und auf den Arkadenbögen der Seitenkapellen reich mit korinthischen Pilastern, Cherubsköpfen, Engeln mit Leidenswerkzeugen, Lorbeerranken und Palmen ausgeschmückt wurde. Interessant ist außerdem die Tatsache, dass schon vor dem Wirken Pater Tönnemanns eine Liborius-Kapelle (heute dem Heiligen Antonius gewidmet) in der “Kirche am Hof” bestanden hat. Das nach 1657 entstandene Bild des Retabels zeigt den vor der Gottesmutter knienden Bischof Liborius.[5] Das Altarblatt des 1675 gestifteten Liborius-Altars in der Wiener Servitenkirche zeigt den Heiligen als Helfer in Pestgefahr, was auch die Errichtung des Liborius-Altars der “Kirche am Hof” in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg veranlasst haben kann.[6]

Zur Zeit Pater Tönnemanns zeigte sich folglich die Kirche in einem prachtvollen Barockgewand, zu dem auch das 1709 von Andrea Pozzo errichtete Hochaltarretabel, die prächtig dekorierte Schauwand hinter dem Altartisch, beitrug, das leider nur noch fragmentarisch erhalten ist. Vergleichsbeispiele, so die Retabel in der Wiener Jesuitenkirche und der dortigen Franziskanerkirche, erlauben den Rückschluss, dass es sich bei dem Hochaltarretabel der “Kirche am Hof” um eine mächtige Triumphbogenarchitektur gehandelt hat.

Nach der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 diente die Kirche am Hof zehn Jahre als Garnisonskirche. In diese Zeit fielen einige An- und Umbauten an Sakristeien und Kapellen, aber vor allem die Ablieferung des in der Kirche befindlichen Silber- und Goldschmuckes an die kaiserliche Münze.[7] Aufgrund einer neuen Pfarreinteilung 1783 wurde die Kirche am Hof Pfarrkirche. 1798 musste das bisherige Hochaltarretabel der klassizistisch orientierten Neugestaltung des Chorraumes nach Plänen von Johann R. Aman weichen.[8] Aufgrund dieses Umbaus zeigt der Chorraum im Vergleich zum Langhaus und den Seitenkapellen heute eine kühlere Ausgestaltung: Der 5/8-Abschluss ist rundbogig verkleidet, korinthische Stuckpilaster rhythmisieren den Raum, der von einer unter dem gotischen Gewölbe befestigten kassettierten Holztonne mit vergoldeten Rosetten nach oben abgeschlossen wird. Die Chorfenster besitzen eine klassizistisch orientierte Rechteckform, wobei ihre Spitzbogenrahmung außen erkennbar blieb.

Von 1908 bis 1952 wurde die “Kirche am Hof” erneut von Jesuiten seelsorgerisch betreut. In diese Zeitspanne fällt der Abbruch des Jesuitenkollegs (sogenanntes Professhaus) 1913, in dem Vitus Georg Tönnemann 1740 verstarb. An der Stelle des Kollegs wurde ein Bankhaus errichtet. Im Jahr 1971 übergab Kardinal König die Kirche der Kroatischen Mission, von der die Kirche auch heute noch genutzt wird.[9]

Die Jesuitengruft

Unterhalb des Chorraums der “Kirche am Hof” erstreckt sich etwa bis zur Kanzel im Mittelschiff die 1662 auf Veranlassung von Katharina Ursula, Gräfin von Abensberg und Traun, angelegte Jesuitengruft, auch Chorgruft genannt.[10] Joseph Kurz greift in seinem historischen Abriss zur “Kirche am Hof” auf das Nekrologium (Totenbuch) des Professhauses zurück und datiert mit dessen Hilfe die erste jesuitische Bestattung in der Chorgruft auf das Jahr 1700.[11] Nach Sichtung der noch erhaltenen Inschriften durch den Verfasser hielt diese Praxis gesichert bis 1783 an. Ferner beziffert Joseph Kurz die Zahl der Bestattungen auf 91, wobei er ebenfalls angibt, dass auch in der Zeit nach der Aufhebung des Jesuitenordens im Jahre 1773 noch Beisetzungen in der Gruft stattgefunden haben.[12]

Grundriss Jesuitengruft

Durch eine ebenerdig mit Metallbodenklappen abgedeckte Treppe in der Vorsakristei (im Süden des Chorraumes) gelangt man in die unterirdisch angelegte Jesuitengruft (vgl. Abb. 2). Die Gruft besteht aus einem etwa 20 Meter langen und im Bereich der Grabnischen knapp 7 Meter breiten vierjochigen Hauptraum mit einem eingezogenen einjochigen Chor. Im Westen schließt eine Treppenanlage den Raum ab. An der Stelle des ehemaligen Treppenabganges steht heute der moderne Zelebrationsaltar der Pfarrkirche, weshalb die Treppe oben mit Platten abgedeckt und daher (angeblich seit napoleonischer Zeit) nicht mehr begehbar ist.[13]

Abb. 2

Über Wandpfeilern erhebt sich ein Kreuzgratgewölbe, das sich in nördlicher und südlicher Richtung mit Stichkappen zu den insgesamt sieben vorhandenen Grabnischen öffnet. Die Grabnischen sind paarweise einander gegenüber angeordnet (vgl. Grundriss). Allerdings fehlt der Nische ganz im Nordosten der Gruft das Gegenüber, da deren Platz ein Vorraum mit der Treppe zur Vorsakristei einnimmt. Vom Erdboden aus erreichen die Grabnischen am höchsten Punkt ihrer Rundung eine Höhe von etwa 3,5 Metern. Die einzelnen Grabnischen weichen in Tiefe, Breite und Höhe leicht voneinander ab. Im Osten der Gruft schließt sich ein stark eingezogener Chorraum mit einer sehr tiefen Mensa, dem Altartisch, über einer mittig anliegenden Stufe an. Darauf nimmt eine ungewöhnliche Darstellung der Pietà mit dem heiligen Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens, aus dem 17. Jahrhundert den zentralen Platz ein. Hinter der Pietà ragt innerhalb einer Scheinarchitektur der freskierte Golgotha-Felsen mit drei darauf aufgerichteten Kreuzen auf (vgl. Abb. 3). Stark beschädigte Fresken der Armen Seelen, denen Engel im Fegefeuer zu Hilfe kommen, bedecken die Nord- und Südwand des Chorraumes, wohingegen auf der Flachtonne, der bogenförmigen Raumdecke, ein Engel mit dem Schriftband “Christus Jesus, qui mortuus est, et resurrexit, interpellat pro nobis” (Kurzfassung von Römer 8,34: Christus Jesus, der gestorben und auferstanden ist, trete für uns ein) zu sehen ist.

Abb. 3

Die in den Grabnischen liegenden einzelnen Grabkammern sind etwa 2,5 Meter tief und mit Ziegelsteinen zum Hauptraum hin vermauert.[14] Der Name des Bestatteten ist auf den Oberflächenputz geschrieben, aber nicht mehr an allen Grabkammern lesbar (vgl. Abb. 4). Die Art, wie der Name aufgeführt wurde, ist nicht einheitlich: An manchen Grabstellen ist der Name freihändig auf den Putz geschrieben, an anderen Gräbern findet sich eine sichtbare, eingeritzte Liniatur; wiederum andere Grabstellen sind mit einer Schablone beschriftet und mit einer schwarzen Rechteckeinfassung versehen. Die Schriftfarbe ist in der Regel schwarz, bei Vitus Tönnemann rotbraun auf grauem Putz. Die meisten Grabkammern sind mit hellgrauem Putz versiegelt, allerdings finden sich auch bräunlich-beige oder dunkelgraue, fast mörtelartige Verputzungen. Die Qualität der Grabverschlüsse ist nicht einheitlich: An zahlreichen Grabkammern ist der Putz des Verschlusses heute stark porös, rissig infolge von Austrocknung und an vielen Stellen abgefallen, so dass nachträglich einige Vermauerungen überputzt werden mussten. Hierdurch sind zahlreiche Inschriften unleserlich, fragmentarisch oder gänzlich verloren.

Abb. 4

Die Grabkammer Vitus Tönnemanns SJ

Die Grabplatte von Pater Tönnemanns ist annähernd quadratisch (67 x 63 cm) mit abgerundeten Ecken. Die obere Kante ist konkav gewölbt (vgl. Abb. 5). Die Inschrift ist mit einer rot-bräunlichen Farbe vermutlich handschriftlich, also ohne Schablonen oder eine Liniatur auf den dunkelgrauen Putz geschrieben und vollständig zu entziffern: “P: Vitus Geo[r]gius Tönneman: obii[t] 15. Martii 1740″ (“Pater Vitus Georg Tönnemann, gestorben am 15. März 1740 “). Die Verputzung ist am rechten Rand leicht beschnitten, jedoch ohne den Sinn entstellende Textverluste. In der linken Hälfte zeigt der Putz an der Grabplatte eine starke Riss- und Hohlraumbildung. Allerdings ist es bislang noch nicht zu Abplatzungsschäden gekommen.

Abb. 5

Außer Vitus Tönnemann ruht auch der ehemalige Beichtvater Maria Theresias, der Jesuit Anton Khabes († 1771) in der Chorgruft. Der jesuitische Märtyrer Karl Boranga († 1684) wurde in die Montecuccoli-Gruft unterhalb der Seitenkapelle am Nordseitenschiff der Kirche umgebettet, wobei das Podest für seinen Sarg in der Jesuitengruft noch sichtbar ist. Vier weitere Grabplatten sind in den Boden der Gruft eingelassen. Im Bereich vor dem Chorraum sind zudem zwei Gedenktafeln vertikal an der Ostwand rechts und links der Altarstufen angebracht, die an die Stiftung der Chorgruft durch Gräfin Ursula von Abensberg-Traun erinnern.[15] In der Mitte des Gruftraumes zeigt eine kreisrunde steinerne Öffnung die Lage des darunter befindlichen Ossuariums an, in das die Gebeine der verstorbenen Jesuiten nach der Ruhezeit umgebettet wurden.

Die Kollegbauten der Jesuiten sind häufig mit einer groß angelegten Gruftanlage unterhalb des Kirchengebäudes ausgestattet, beispielsweise in Trier, Dillingen, Innsbruck und Paderborn.[16] In Wien ist die Gruft darüber hinaus sehr sorgfältig ausgeführt und in einem – von einigen Ausbesserungen abgesehen – originalgetreuen Zustand, der einen Einblick in jesuitische Bestattungskultur im 18. Jahrhundert ermöglicht. Zudem weisen der Altar und die ehemals über den Kircheninnenraum betretbare – groß angelegte – Treppenanlage darauf hin, dass die Gruft ehemals in einem deutlich sichtbaren Zusammenhang zur Kirche gestanden hat und in einen architektonischen und liturgischen Kontext eingebunden war.

Hamburg, im März 2010

Jochen Hermann Vennebusch

[1] Thöne, Wilhelm: Geschichte der Familie Thöne – Warburger Stammes 1282-1938. Bad Soden am Taunus, 1938, S. 50.

[2] Andlau, Karl Maria SJ: Mein Gotteshaus in Vergangenheit und Gegenwart; Ursprung und Entwicklungsgeschichte in Wort und Bild. Kirche zu den neun Chören der Engel “Jesuitenkirche am Hof”. Wien, o. J., keine Seitennummerierung (S. 2).

[3] Weczerik Edler von Planheim, Karl: Geschichte der Kirche und Pfarre “zu den neun Chören der Engel” in Wien “am Hof”. Wien, 1908, S. 8.

[4] Bandion, Wolfgang J.: Kirche am Hof Wien. Wien, 1991, S. 2.

[5] Bundesdenkmalamt Wien (Hrsg.): Dehio-Handbuch – Wien I. Bezirk Innere Stadt. Horn/Wien, 2003, S. 9.

[6] Servitenkonvent Wien: Servitenkirche Wien. Salzburg, 1986, S. 10 f.

[7] Kurz, Joseph: Nachträge zum “Gedenkbuch der landesfürstlichen Stadtpfarre zu den neun Chören der Engel Am Hof” mit besonderer Rücksichtnahme auf die Mariensäule Am Hof (II. Theil). Wien, 1897, S. 17.

[8] Grübl, Sigmar (Bauamt der Erzdiözese Wien): Kirche am Hof zu den neun Chören der Engel – Zeittafel. Wien, o. J.

[9] Grübl, Zeittafel (wie Anm. 8).

[10] Grübl, Zeittafel (wie Anm. 8).

[11] Kurz, Joseph (Hrsg.): Gedenkbuch der l.-f. Stadtpfarre zu den neun Chören der Engel am Hof. Wien, 1891, S. 31.

[12] Kurz, Gedenkbuch (wie Anm. 11), S. 26.

[13] Auskunft des Rektors der “Kirche am Hof”, Pater Ilija Vrdoljaks, zu der Treppenanlage. Der Verfasser dankt Pater Ilija für die Erlaubnis, die Jesuitengruft zu dokumentieren sowie für zahlreiche Hilfestellungen während der Arbeit in der Gruft und den ungehinderten Zugang zu sämtlichen Räumen der Kirche während der Dokumentation im September 2009.

[14] Auskunft des Rektors der “Kirche am Hof”, Pater Ilija Vrdoljaks, zu den Grabkammern.

[15] Hierzu finden sich Hinweise auf einem anonymen und undatierten maschinenschriftlichen Manuskript aus dem Pfarrarchiv der “Kirche am Hof”, das laut Auskunft des Rektors von einer älteren Dame aus der Gemeinde zusammengestellt wurde.

[16] Vgl.: Haub, Rita: Die Jesuitengruft in der Studienkirche Dillingen an der Donau. Lindenberg/Allgäu, 2008.